2015 – Stefano Bollani

stefano bollani

Stefano Bollani Trio

STEFANO BOLLANI piano / JESPER BODILSEN bass / MORTEN LUND drums

„Selten habe ich einen improvisierenden Musiker getroffen, der über einen derartigen Sinn für Struktur und Form verfügt“, sagt ECM-Produzent Manfred Eicher über den Pianisten Stefano Bollani. Seine herausragenden technischen Fähigkeiten, seine stilistische Vielseitigkeit und ein ausgeprägter Sinn für musikalische Komik haben den lebhaften Italiener in seiner Heimat populär gemacht; er hat eigene TV- und Radioshows, seine Konzerte locken viele Tausende in die Konzerthallen, aber auch international wächst die Aufmerksamkeit beständig.

„Für mich bestand lange die Gefahr, dass ich einfach zu viel spiele, dass ich zu viele Effekte, Kunststückchen und Überraschungen in meine Improvisationen einbaue und meinem Spaß am Witzigen zu sehr nachgebe“, sagt Bollani, „Inzwischen weiß ich, dass man gute Ideen schonend behandeln muss.“ Bollani schmilzt die Erfahrungen diverser musikalischer Milieus homogen in einen unverwechselbaren Personalstil ein und gebietet dabei über eine geradezu enzyklopädische Vielfalt an Stilen und Tonfällen. „Ich liebe sehr viel Musik aus allen möglichen Richtungen, Klassik, Tango, Brasilianisches und Jazz aller Art natürlich. Charakteristische Idiome wie Stride Piano oder die Alberti-Bässe der Wiener Klassik kann man wunderbar als Erkennungsmittel benutzen, weil sie beim Publikum unmittelbar bestimmte Assoziationen auslösen. Mit diesen bekannten Elementen schaffe ich so etwas wie eine Verständigungsgrundlage, auf der sich dann etwas Neues entwickelt.


Das ist wie beim traditionellen Umgang mit Jazzstandards. Kennt Ihr den Song? Hier ist er, jetzt scheint er plötzlich verschwunden, nein, da lugt er wieder hervor… solche Vexierspiele sind entscheidend für mich. Als Kind wollte ich gerne Popsänger werden, und noch heute singe ich, wann immer man mich lässt. Ich liebe die Stimme einfach, das mag mit meinem italienischen Erbe zu tun haben. Schon damals war ich vernarrt in die Musik der 50er Jahre, mein Vater hatte all diese Platten, Nat King Cole, Dean Martin, Bill Haley, Elvis natürlich und Frank Sinatra. Ein Vorbild für mich wurde dann Renato Carosone, der große neapolitanische Sänger und Pianist, er war eine echte Identifikationsfigur.“ Schon bald entdeckte Bollani den Jazz. Er begann die Soli der großen Alten zu studieren und nachzuspielen, er versuchte sich die Handschriften der unterschiedlichsten Jazzpianisten anzueignen, um frei über sie verfügen zu können. Mit 15 begann er mit eigenen Bands in Clubs zu spielen, er hatte ein Trio und ein Quintett.

In den folgenden Jahren musste Bollani diese Aktivitäten vor seinem Professor am „Conservatorio Luigi Cherubini“ geheim halten. „Die Ausbildung dort war sehr strikt und formell. Die Konservatoriumsdisziplin fiel mir mitunter schwer, aber heute bin ich natürlich dankbar für die Unnachgiebigkeit meines Professors, denn ich habe ungeheuer davon profitiert.“ Im Alter von 21 Jahren schloss Bollani 1993 sein Studium mit Bestnote ab. Doch eine Laufbahn als klassischer Musiker kam für ihn nicht in Frage: „Ich liebe die klassische Musik, aber mit der Atmosphäre, dem Ernst und der bedingungslosen Treue zum Notentext komme ich nicht zurecht. Das schaffe ich immer nur ein paar Tage lang, dann muss ich ausbrechen, selbst bei Komponisten wie Ravel, Poulenc oder Milhaud, die ich sehr mag. Die Idee der präzisen Wiederholung widerstrebt mir vollkommen, ich habe keinerlei Vorstellung von Perfektion im Kopf. Ich möchte jedes Mal etwas anderes spielen, weil ich mich nie festlegen möchte, wie ein Stück eigentlich zu klingen habe. Entwicklung ist mir wichtig, der fortlaufende Prozess.”


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Zunächst jedoch wurde Bollani Keyboarder in der Band des italienischen Rappers Jovanotti, spielte zwei Jahre lang regelmäßig vor Tausenden von Zuhörern – und stellte erneut fest, dass letzen Endes nur das Vorhersagbare zählte: „Im Pop musst Du in jedem Konzert exakt die selben Akkorde spielen, schließlich sollen die Hörer ja die Platte wiedererkennen!“ Es war der Trompeter Enrico Rava, der Bollani schließlich dazu ermutigte, sich voll und ganz seiner wahren Passion, dem Jazz, zu widmen. „Rava sagte, ich sollte den Schritt wagen, ich hätte das Talent dazu. 1996 begannen wir zusammen zu spielen, in unterschiedlichen Formationen, Duo, Quartett und Quintett. Im Laufe der Jahre haben wir 12 Alben für verschiedene Labels aufgenommen.“

Und was hält Bollani selbst von seinem „Sinn für Struktur und Form“? Ist genau das sein Naturell? Instinkt und Bewusstheit scheinen sich die Waage zu halten: „Ich bin ein klassisch ausgebildeter Musiker, ich liebe Songs, deshalb bin ich an Formen gewöhnt und greife ganz unweigerlich nach ihnen – und seien es nur zwei Akkorde oder ein bestimmter Rhythmus. Man möchte sich das eigentlich nicht eingestehen, aber die beste Musik ist oft aus ganz einfachen Molekülen aufgebaut. Je einfacher sie sind, desto mehr kann man aus ihnen entwickeln.“

www.stefanobollani.com
Daniel Prandl Quartet